Zwischen Besinnlichkeit und Spektakel

Bündner Tagblatt, 29.11.08 

Vielfältige Eindrücke: Die szenische Kantate “Hochzeit von Kana” feierte am Donnerstag Premiere in der Martinskirche in Chur.

Die Konzertbesucher wurden vor Konzertbeginn mit projizierten pulsierenden Spiralfiguren in psychedelischen Farben und einem irritierenden Tonmix von sakraler und moderner Musik empfangen. Aufwühlend und mit vielen Eindrücken beladen gestaltete sich auch die darauf folgende Aufführung der szenischen Kantate “Hochzeit von Kana”. Einiges blieb nebulös, nicht nur wegen des von Zeit zu Zeit eingesetzten “Disco-Nebels”.

Liebe als zentrales Motiv

Zu Beginn schreckt der Bündner Bariton Michael Berndonner alias Johannes das Publikum mit einem Urschrei auf: “You didn’t tell the truth…”, ruft er sodann in den Raum. Wer ist der hinters Licht geführte Johannes? Vielleicht das Alter Ego des Initianten und Autors Arno Schocher, der durch eine Vision in der australischen Wüste zum Text inspiriert wurde. Johannes heisst auch der Schreiber des Evangeliums, worin die “Hochzeit von Kana” geschildert wird. Aber vielleicht ist Johannes auch einfach ich und du. Die Gesprächspartnerin von Johannes ist die (weibliche) göttliche Weisheit Sophia, dargestellt von der Sängerin Annette Labusch. Sie lehrt Johannes, dass es im Leben eigentlich um die Liebe ginge. Die Botschaft, gegen die nichts einzuwenden ist, kommt im Text etwas holprig, stilistisch uneinheitlich und zuweilen mit konstruiert anmutenden Bildern daher. Englisch und Deutsch, hochtrabende Sätze in altbackenem Stil und moderne Anglizismen bilden eine Collage, die kaum in einem dramaturgischen Konzept aufgeht. Der Bündner Schauspieler und Regisseur René Schnoz hatte bei der szenischen Umsetzung somit keine leichte Aufgabe. Dass die Inszenierung trotzdem gut herauskam, spricht für Schnoz. Zusammen mit dem in Chur geborenen Komponisten Marco Schädler, der auch gleich die Orgel bediente, gelang es ihm, insbesondere mit Mitteln der Ironie, dem Libretto Konturen zu verschaffen. Schädlers Musik ist zwar ebenfalls heterogen, allerdings schuf er fliessende Übergänge zwischen den Stilrichtungen und liess sie auch als Abbild einer inhaltlichen Auseinandersetzung erkennen. Sehr gelungen war zudem die Tanzperformance, die in anschaulichen Bildern zu den Zuschauern sprach (Irina Cannabona, Ronny Kistler und Tanzschülerinnen).

Abrupte Stilwechsel

Für die musikalische Leitung zeichnet Harri Bläsi verantwortlich, der auch den Chor Vocs Box einstudiert hatte. Dieser meisterte die Klippen der abrupten Stilwechsel gut. Auch die mit einem Bläserübergewicht besetzte Kammerphilharmonie Graubünden wirkte allzeit souverän. Neben den bereits erwähnten Sängern ist als Komtur Daniel Leo Meier zu hören. Die Sänger überzeugten sowohl stimmlich wie darstellerisch. Köstlich die Faxen des Komturs, als er das Volk mit Ritualen, Regeln und Zerstreuung einlullte. Maria (Patricia Pasquale) und Jesus (Gabriel Crucitti) wurde kein Gesangspart zugeteilt. Der erst 1992 geborene Jesusdarsteller verlieh Jesus eine warme und sanftmütige Ausstrahlung. Die Jüngsten waren aber vier etwa 8-jährige Mädchen, die auch sprechen und singen mussten – Hut ab!
Phasenweise waren so viele Töne und Bilder zu verarbeiten, dass eine gewisse Reizüberflutung den besinnlichen Aspekt überdeckte. Das mutige Projekt verdient aber insgesamt gute Noten. Die Beteiligten waren mit Herz bei der Sache, und es entstand ein buntes und unterhaltsames Produkt, das auch ein klassikfernes Publikum anspricht und, last but not least, zum Nachdenken anregt.


Carlo Köhl